Ernst Polak

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Ernst Polak (bis 1938: Pollak;[1] * 4. August 1886 in Gitschin, Österreich-Ungarn; † 21. September[2] 1947 in London) war ein österreichischer Bankbeamter, Literaturkritiker und Literaturagent.

Ernst Polak war der Sohn Emmanuel Pollaks († 1921), eines zweisprachigen jüdischen Kaufmanns für Edelsteine (geb. 1858, gest. 1943 im KZ Theresienstadt) und dessen deutscher Ehefrau Regina Schwenk.[3] Polak sprach mit seiner Mutter deutsch und mit seinem Vater tschechisch. Seine Eltern hatten des Weiteren drei Töchter, nämlich Elisa, Frederike und Grete. Der Großvater väterlicherseits arbeitete als Lehrer in Hermannstädel. 1897 übersiedelte die Familie aus politischen und wirtschaftlichen Gründen von Jitschin nach Prag.

Prag 1897–1918

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In Jitschin hatte Ernst Polak vier Jahre lang die deutsche Volksschule sowie die erste Klasse des Gymnasiums besucht. In Prag wurde Polak ein Schüler des k.u.k. Staats-Obergymnasiums in der Neustädter Stephansgasse. Im Anschluss an das Untergymnasium ging Polak bis zum Jahr 1903 zur deutschen Handelsschule, die er mit dem Abitur beendete. Danach arbeitete er in der Glasfabrik seines Onkels. Am 8. Januar 1906 trat Polak als Fremdsprachenkorrespondent für die Prager Filiale der Österreichischen Länderbank ein.

Stammgast war Ernst Polak im Café Arco in der Altstadt (Ecke Plaster-/Hybernergasse), wo er mit Autoren über deren entstehenden Werke diskutierte: Um den Kritiker Willy Haas hatte sich ein literarischer Kreis gebildet, dem auch Paul Kornfeld, Max Brod, Franz Werfel und die Brüder Franz und Hans Janowitz angehörten.[4] Seit 1908 besuchte Franz Kafka das Café Arco, wenngleich nicht regelmäßig. Auch der damals schon bekannte Paul Claudel zählte zu den Gästen des Cafés, wogegen Polak auf den noch unbekannten André Gide und dessen Nouvelle Revue Française setzte.[5] In der Zeit von 1911 bis 1912 veröffentlichte Polak in den Herder-Blättern, die Willy Haas herausgab.[6] Über die Kontakte von Haas konnte Polak schon 1913 zu den Festspielen nach Hellerau reisen.

Das Kennenlernen von Ernst Polak und Milena Jesenská beschreibt Hartmut Binder: „Als Polak im Sommer 1916 Max Brod bei der Zusammenstellung einer tschechischen Gedichtauswahl behilflich war, die Franz Pfemfert für eine Publikation der Aktion in Auftrag gegeben hatte, gesellte sich Milena dazu, und es kam zu einer Liaison. Da Milena kein Deutsch konnte, sprach man tschechisch miteinander …“[7]

Zu dieser Zeit wohnte Polak in der Gottwaldstraße 2, also an der Rückseite des Nationaltheaters. In der Wohnung trafen sie sich, und im März 1918 heirateten Polak und Jesenská. Das Ehepaar musste nach Wien ziehen, um eine Bedingung des Vaters der Braut zu erfüllen.

Wien 1918–1938

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Ehe und Scheidung

Von März bis Mitte Mai 1918 wohnten Ernst Polak und Milena Jesenská-Polak – wie sie sich nach ihrer Heirat nannte – zunächst in einem möblierten Zimmer, Nußdorfer Straße 14. Zum 16. Mai 1918 bezogen sie eine Wohnung in der Lerchenfelder Straße 113 im Wiener Gemeindebezirk Neubau.[8] Seit dem 21. März 1918 arbeitete Polak als Devisenhändler bei der Länderbank und verkehrte im Wiener Café Herrenhof. Während der Wiener Zeit gehörten Milan Dubrović, Hermann Broch und Franz Werfel zu seinen besten Freunden.[9]

Weil Polak seine Abende im Kaffeehaus verbrachte, war seine Ehefrau oft allein. Sie begann für Tageszeitungen zu schreiben, so für die nationaldemokratische Národni listy und für die 1919 gegründete liberale Tribuna. Außerdem gab sie Tschechisch-Unterricht und übersetzte Texte vom Deutschen ins Tschechische.[10] Sie hatte auch Franz Kafka gebeten, den sie seit Ende 1919 aus einem Kaffeehausbesuch in Prag flüchtig kannte, einige seiner Texte ins Tschechische übersetzen zu dürfen.[11] Den ersten Brief schrieb Kafka dann im April 1920 aus Meran-Untermais an Milena, und einen Monat später erinnerte er sich an Ernst Polak:

„Er schien mir in dem Kaffeehauskreis der verläßlichste, verständigste, ruhigste, fast übertrieben väterlich, allerdings auch undurchsichtig, aber nicht so, daß das Vorige dadurch aufgehoben worden wäre. Respekt hatte ich immer vor ihm, zur weiteren Kenntnis hatte ich weder Gelegenheit noch Fähigkeit, aber Freunde, besonders Max Brod hatten eine hohe Meinung von ihm, …“[12]

Die Ehe befand sich zur Zeit des Briefwechsels, der im Frühjahr 1920 begann und im Dezember 1923 endete, schon in einer Krise. Sie wurde einerseits durch Polaks Beziehung zu Mia Weiss, geb. Hasterlik, ausgelöst: Seine Geliebte, verheiratet mit dem Bankbeamten Ernst Weiss, war eine Schwägerin aus Heimito von Doderers erster Ehe mit Gusti Hasterlik. Andererseits trug zum Scheitern der Ehe die Beziehung zwischen Milena Jesenská und dem Grafen Franz Xaver Schaffgotsch bei. Beide zogen 1925 nach Prag.[13] Nach der Scheidung im Jahr 1924[14] blieb Polak bis 1935 in der Wohnung in der Lerchenfelder Straße. In seinen letzten Wiener Jahren lebte er mit der ungarischen Klavierlehrerin Ilona Voorm zusammen. Sie hatte an Konservatorien in Warschau und Moskau studiert; nach ihrer Emigration in die USA war sie eine Kollegin des Komponisten Béla Bartók.[15]

Studium

1925 ließ Polak sich als Prokurist der Länderbank pensionieren, holte 1928 in Mödling seine Matura nach und begann im selben Jahr ein Universitätsstudium. Während seines fünfjährigen Studiums an der Universität Wien hörte er vor allem:

Seine Dozenten waren insbesondere Moritz Schlick, Rudolf Carnap, Karl Bühler und Heinrich Gomperz. Schlicks Assistent Friedrich Waismann war eine zentrale Gestalt für Polak, wodurch er auch Kontakt zum Wiener Kreis bekommen hatte. Im Juni 1932 wurde Polak bei Moritz Schlick mit der Dissertation Kritik der Phänomenologie durch die Logik zum Dr. phil. promoviert.[16] In seiner Auseinandersetzung mit Edmund Husserl schreibt Polak der Phänomenologie ein Selbstmissverständnis zu, das durch den Auseinanderfall von Sinn und Terminologie hervorgebracht werde. Die Ausdrucksweise der Phänomenologie sollte geklärt und berichtigt werden, was von einer nominalistischen Position aus zu geschehen habe. Zwar ergebe sich, dass der Sinn der Phänomenologie die Logik sei, doch ihre Ergebnisse seien Tautologien und ihre Erkenntnisse nicht wirkliche Aussagen, sondern nur Erläuterungen.[17] In seiner Argumentation hat sich Polak auf Ludwig Wittgenstein bezogen.[18] Hilde Spiel kommentiert in ihren Erinnerungen, Ernst Polak habe dem Edmund Husserl „mit Hilfe der Logik am Zeug geflickt“.[19]

Auf den für Polaks Studium und Promotion maßgeblichen Moritz Schlick hatte ihn Jolande Jacobi hingewiesen. Aus dem Londoner Exil schrieb Polak im Juli 1939 an Jolande Jacobi:

„Es war eine merkwürdige Schicksalsfügung, daß Sie mich gerade an einem Kreuzweg auf Schlick aufmerksam gemacht haben. Die Schule, die ich da genossen habe, ist für mich ungeheuer wertvoll geworden. Ich bin dem Schicksal wirklich dankbar, daß mir das ermöglicht wurde.“[20]

Nach dem „Anschluss“ Österreichs musste Polak im April 1938 nach Prag fliehen; die Grenzen zur Tschechoslowakei waren seit Samstag, 12. März 1938, dem Tag des Einmarsches, geschlossen. Polak gab Philosophiestunden, arbeitete für die Verleger Bohumil Janda und Paul Kittel und half Friedrich Burschell beim Jahrbuch der Thomas-Mann-Gesellschaft. Nach dem Münchner Abkommen vom 28. September 1938 wurde die Lage bedrohlich, und sein Freund Rudolf Thomas († 1938 durch Suizid) riet Polak zur Emigration. Durch die Hilfe seiner ehemaligen Frau Milena Jesenská erhielt er den vertraglichen Status eines England-Korrespondenten für die Zeitung Přítomnost. Am 25. November 1938 konnte Polak auf dem Flughafen London-Croydon in England einreisen.[21]

England 1938–1947

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Für seine Einreise lag eine Einladung des Londoner P.E.N.-Clubs vor, und Polak erlangte eine Aufenthaltsgenehmigung von vier Wochen. Infolge der Besetzung des Sudetenlandes und der Annexion Tschechiens wurde Polak dann als Flüchtling anerkannt. In London, wo er im Stadtteil Kensington wohnte, übernahm Polak Tätigkeiten als Lektor und Literaturagent. Hier traf er u. a. auch Hilde Spiel, die Polak bereits aus der Zeit im Café Herrenhof kannte, wo sie am Tisch „des so klugen wie witzigen Pragers […] zugelassen“ war.[22] „In London war er ohne das Café Herrenhof verwaist“,[23] war aber „als einstiger Freund Kafkas […] fast selbst eine Kultfigur.“[24]

Bei einem Angriff der deutschen Luftwaffe (The Blitz) auf London verlor Polak im September 1940 seine Wohnung in Kensington. Im Anschluss an einen Zwischenaufenthalt in Schottland zog er im Frühjahr 1941 nach Oxford, Banbury Road 100, und nahm wieder Kontakt zu Friedrich Waismann auf, der ebenfalls 1938 nach England emigriert war und an der Oxford-Universität Philosophie lehrte. Bei Waismann setzte Polak seine philosophischen Studien fort – und er lernte 1942 in Oxford Delphine Reynolds (* 1907, wiederverheiratete Delphine Trinick) kennen, die vor dem Zweiten Weltkrieg eine bekannte Reiterin und Pilotin war. Sie heirateten im Januar 1944.[25]

Sein Grab liegt auf dem Willesden Jewish Cemetery in London-Willesden.

Hartmut Binder nennt Polak zwar „einen Literaten ohne Werk“, hebt aber dann hervor „… seine Rolle als Freund, Berater und literarischer Agent österreichischer Schriftsteller und belletristischer Verlage, seine Bedeutung als Integrationsfigur der wichtigsten Kaffeehauszirkel in Prag und Wien.“[26]

Literaturkritiker

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Die jeweilige literarische Bedeutung der Autoren Franz Kafka, Italo Svevo und Ivan Cankar erkannte Polak bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Unter dem Pseudonym Ernst Schwenk, dem Nachnamen seiner Mutter, veröffentlichte er von 1927 bis 1931 eine Reihe von Rezensionen in der Wochenzeitung Die literarische Welt. Willy Haas und Ernst Rowohlt hatten die Publikation 1925 in Berlin gegründet. Anlässlich einer Rezension zur Veröffentlichung eines Tagebuchs von Italo Svevo, das im Jahr 2000 erschien, heißt es:

„Es war die von Willy Haas in Berlin herausgegebene ‚Literarische Welt’, in der Ernst Schwenk am 2. September 1927 auf einer ganzen Seite seinen Lesern einen ´neuen italienischen Dichter´ vorstellte, der nach langer Erfolglosigkeit mit seinem ‚Zeno Cosini’ nun endlich zu Weltruhm gelangen sollte. Dieser ersten deutschsprachigen Würdigung überhaupt des Triesters Italo Svevo war ein Auszug aus dem Kapitel ‚Die Zigarette’ beigegeben, jenem ewig wiederholten Bekenntnis zur ‚letzten Zigarette’, das heute jeder Svevo-Leser mit seinem Namen verbindet.“[27]

Die Würdigung Italo Svevos, die als Leitartikel auf der Titelseite der Literarischen Welt erschien, verknüpfte Polak mit seiner Auffassung von der Rolle Kafkas:

„Bei dem größten, dem heroischen, rätselvollen Kafka ist es schon ein wirkliches Übersichhinausgreifen, der Gewissensprozeß gegen sich, eine Theologie der Sensibilität, ein Monolog durch sich zu Gott.“[28]

Friedrich Torberg berichtete über Polak, der damals für den Humanitas-Verlag Zürich tätig gewesen war und Torbergs Roman Abschied – erschienen 1937 – an den Verlag vermittelte, wie folgt:

„An einem der folgenden Nachmittage erwartete mich Ernst Polak, den ‚Abschied‘ vor sich auf dem Tisch, im Café Herrenhof. In banger Erwartung setzte ich mich ihm gegenüber, sah ihn das Monokel einklemmen und das Buch aufschlagen, welches vollständig ‚Abschied, Roman einer ersten Liebe‘ hieß, als Motto ein Zitat aus einem Gedicht von Hölderlin trug und meinem väterlichen Freund Max Brod gewidmet war. ‚Der Titel‘, hob Ernst Polak an, ‚ist nicht schlecht.‘ Er blätterte weiter und deutete auf das Hölderlin-Zitat. ‚Das hier ist sogar hervorragend. Hier‘ – er war bei der Widmung an Max Brod angelangt – ‚wird’s schon etwas schwächer. Und der Rest taugt überhaupt nichts.‘ Damit klappte er das Buch wieder zu.“[29]

Polak schrieb auch für den Querschnitt, die Vossische Zeitung, und er war Feuilletonkorrespondent der Hamburger Nachrichten.

Literaturberater

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In Österreich

Eine intensive Beraterfunktion hatte Ernst Polak für Hermann Broch ausgeübt, wobei sie sich meist im Café Herrenhof trafen. An der Entstehung der Romantrilogie Die Schlafwandler und ihren Veränderungsprozessen wirkte Polak mit. Er vermittelte das Werk 1930 an den Verleger Daniel Brody vom Rhein-Verlag, um dann auch weiterhin an der Bearbeitung der Manuskripte beteiligt zu sein. Polaks Beteiligung erstreckte sich 1935 auf die Übersetzung des Schlafwandlers ins Englische durch Willa und Edwin Muir.[30] Nach 1933 war Polak Lektor für die Verlage Piper und Bermann-Fischer und beteiligte sich später am Aufbau des Humanitas-Verlags in Zürich.

Polak unterstützte im Mai 1934 die Gründung des Robert-Musil-Fonds, der die erforderlichen finanziellen Mittel sammelte, um die Fertigstellung des Romans Der Mann ohne Eigenschaften materiell abzusichern.[31]

In England

Polak konnte in England im Frühjahr 1939 den Roman Sommer 1914 des Autors Roger Martin du Gard an den Humanitas-Verlag vermitteln. Mit dem Verleger Gottfried Bermann Fischer verhandelte er über Paul Frischauers Roman Ein großer Herr. Im ersten Halbjahr 1939 betreute Polak redaktionell Jolande Jacobis Einführung in das Werk von C.G. Jung, dessen Mitarbeiterin sie als Psychologin war.

Im zweiten Halbjahr 1939 machte Polak für Alma Mahler-Werfel die Manuskripte zu ihrem Buch über Gustav Mahler druckfertig.[25] Es erschien 1940 im Amsterdamer Verlag Allert de Lange unter dem Titel Gustav Mahler. Erinnerungen und Briefe. Für Franz Werfel korrigierte Polak das Manuskript zum Buch Der veruntreute Himmel, das Bermann Fischer 1939 in Stockholm verlegte, jedoch ohne die Korrekturen, weil sie zu spät kamen.[25] Das Ehepaar Werfel war zu dieser Zeit bereits aus Österreich emigriert und hatte Quartier in Sanary-sur-Mer gefunden. In ihrer Autobiografie erwähnt Alma Mahler-Werfel dann Ernst Polak in einem Satz:

„Franz Werfel brachte einige Freunde aus der Schulzeit mit ins Leben. Zu seinen engsten Freunden und Beratern zählte Ernst Polak, ein sehr feiner Kopf und ein feinsinniger Literat, mit dem er stundenlang diskutierte und seine Werke durchsprach.“[32]

Im Jahr 1941 betreute Polak für den Autor Ernst Rüdiger Starhemberg dessen autobiografisches Manuskript, welches 1942 beim Verlag Harper unter dem Titel Between Hitler and Mussolini veröffentlicht wurde. 1942 korrespondierte Polak mit Jacob Levy Moreno – in den Briefen mit der Anrede Jack Levy – über das geplante Buchprojekt unter dem Arbeitstitel Macht und Verantwortung. Polak und Moreno hatten sich nach dem Ersten Weltkrieg im Café Herrenhof in Wien kennengelernt. Im Kontext zu dieser Beratungstätigkeit liefert Hartmut Binder eine zusammenfassende Beschreibung:

„Polak verstand seine Tätigkeit in diesem Fall so, daß er dem Autor Lektüre und Detailarbeit ersparen wollte. Er referierte die Grundthesen von wissenschaftlichen Werken, die auf das geplante Thema Bezug hatten, beurteilte die wichtigsten Quellen, gab umsichtige Definitionen von zentralen Begriffen und machte Vorschläge, mit welcher Methode und in welcher Richtung eine Weiterarbeit durch den Autor sinnvoll erscheine.“[33]

Der Nachlass von Ernst Polak, den Hartmut Binder Anfang April 1977 bei der zweiten Ehefrau Delphin Trinick, verw. Polak, ausfindig gemacht hatte, befindet sich im Deutschen Literaturarchiv Marbach. Dieser Nachlass enthält auch den Briefwechsel mit Jolande Jacobi, Jakob Levy Moreno und Franz Werfel.[34]

Vor ihrer Emigration in die USA hat Polaks Wiener Lebensgefährtin Ilona Voorm das gesamte Material aus der Prager und Wiener Zeit vernichtet: Hierbei handelte es sich um „… Tausende von Briefen, Hunderte von Photographien, ‚eine ganze Kulturgeschichte’, ein über vierzig Jahre hingebreitetes ‚document humain’, in dem sich, auch in autobiographischen und literarischen Versuchen, die ganze österreichische Literatur seiner Zeit gespiegelt hatte, …“[35] Dieser unersetzliche Verlust für die Literaturwissenschaft lässt sich in seiner Bedeutung kaum ermessen.

Franz Werfel

Ernst Polak und Franz Werfel waren seit Prag miteinander befreundet. Alma Mahler-Werfel schreibt in ihrer Biografie über die lebenslange Freundschaft:

„Franz Werfel brachte einige Freunde aus der Schulzeit mit ins Leben. Zu seinen engsten Freunden und Beratern zählte Ernst Polak, ein sehr feiner und ein feinsinniger Literat, mit dem er stundenlang diskutierte und seine Werke durchsprach.“[36]

Franz Werfel behandelt in seinem Werk den Generationenkonflikt als sein zentrales Thema – so auch in der Novelle Nicht der Mörder, der Ermordete ist schuldig (1920). Werfel hat den Konflikt immer wieder vor dem Hintergrund der griechischen Mythologie gesehen, den Konflikt zwischen Laios (Vater) und Ödipus (Sohn). Norbert Abels kommt zu der Aussage:

„Werfels Freund Ernst Polak hat in diesem Sinn das Auftauchen des Ödipuskomplexes und der Vaterimago am Ende des 19. Jahrhunderts als Verfallsphänomen der patriarchalen Hierarchie der Herrschenden gedeutet. Im Vater-Sohn-Konflikt hat Freud bereits in der Traumdeutung von 1900 einen literarischen Topos von unwiderstehlicher Anziehungskraft gesehen. Immer wieder tritt der Vater auf als Träger einer mysteriösen, unüberwindlichen Autorität.“[37]

Franz Kafka

Klaus Wagenbach hat bereits 1964, dem Jahr der Erstausgabe seiner Darstellung von Franz Kafka, in einer Analyse der Entstehungsbedingungen des Romans Das Schloss sogenannte Realitätspartikel aufgezeigt, die auf Milena Jesenská und Ernst Polak hinweisen. Neben Kafkas eigener Paria-Situation und seiner Liebe zu Milena war es Polaks intensive, auch außergewöhnliche Lebensweise, die im Protagonisten Klamm literarisch verarbeitet wurden. Wagenbach schreibt:

„Manche Züge des Mannes, Ernst Polak […], sind in die Figur des Klamm (ein Name, den Kafka offenbar aus einem Wortspiel mit dem Vornamen Ernst, das er schon den Briefen verwandte, ableitete) eingegangen, auch die Konstellation der Liebe: durch Frieda, die sich niemals ganz von Klamm lösen kann, versucht der Landvermesser seßhaft zu werden. Und schließlich, sehr deutlich, der ‚Herrenhof’, gleichzeitig ein Café in Wien (von den Literaten auch ‚Hurenhof’ genannt), in dem sich Ernst Polak mit Franz Werfel, Otto Pick, Egon Erwin Kisch und Otto Groß [sic!] zu treffen pflegte.“[38]

Veröffentlichungen

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  • Ein neuer italienischer Dichter. Italo Svevo. In: Die literarische Welt. Jg. 3/1927, Nr. 35, S. 1.
  • Ivan Cankar. Der Knecht Jernej. In: Die literarische Welt. Jg. 5/1929, Nr. 46.
  • Aldous Huxley. Kontrapunkt des Lebens. In: Die literarische Welt. Jg. 6/1930, Nr. 10.
  • Logistische Bemerkung zu Arnold Zweigs ‚Über die Wirksamkeit der Zehn Gebote‘. In: Die literarische Welt. Jg. 6/1930, Nr. 44, S. 7.
  • Alexander Lernet-Holenia und sein neuer Roman. In: Die literarische Welt. Jg. 7/1931, Nr. 11.
Jahrbuchbeiträge
  • Hartmut Binder: Ernst Polak – Literat ohne Werk. In: Fritz Martini, Walter Müller-Seidel, Bernhard Zeller (Hrsg.): Jahrbuch der Deutschen Schillergesellschaft. 23. Jg., Kröner, Stuttgart 1979, S. 366–415.
  • Dieter Sulzer: Der Nachlass von Ernst Polak im Deutschen Literaturarchiv. Bericht, Verzeichnis und Edition von Briefen Polaks, Werfel und Brochs. In: Fritz Martini, Walter Müller-Seidel, Bernhard Zeller (Hrsg.): Jahrbuch der Deutschen Schillergesellschaft. 23. Jg., Kröner, Stuttgart 1979, S. 514–548.
Lexikaeinträge
  • Wilhelm Sternfeld, Eva Tiedemann: Deutsche Exil-Literatur 1933–1945. Eine Bio-Bibliographie. Mit einem Vorwort von Hans W. Eppelsheimer. 2. Auflage. L. Schneider, Heidelberg 1970.
  • Elisabeth Lebensaft und Viktor Suchy: Polak Ernst. In: Österreichisches Biographisches Lexikon 1815–1950 (ÖBL). Band 8, Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Wien 1983, ISBN 3-7001-0187-2, S. 167.
  • Rudolf M. Wlaschek: Biographia Judaica Bohemia. Dortmund 1995, ISBN 3-923293-47-X (Veröffentlichungen der Forschungsstelle Ostmitteleuropa an der Universität Dortmund, hrsg. von Johannes Hoffmann, Reihe B, Band 52).
  • Susanne Blumesberger, Michael Doppelhofer, Gabriele Mauthe: Handbuch österreichischer Autorinnen und Autoren jüdischer Herkunft 18. bis 20. Jahrhundert. Band 2: J–R. Hrsg. von der Österreichischen Nationalbibliothek. Saur, München 2002, ISBN 3-598-11545-8, S. 1049.
  • Polak, Ernst. In: Ernst Fischer: Verleger, Buchhändler & Antiquare aus Deutschland und Österreich in der Emigration nach 1933: Ein biographisches Handbuch. 2. Auflage. Berlin : De Gruyter, 2020, S. 384f.

Einzelnachweise

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  1. Franz Kafka, Milena Jesenská (Adressat), Jürgen Born (Hrsg.), Michael Müller (Hrsg.): Briefe an Milena. Erweiterte und neu geordnete Ausgabe. Fischer, Frankfurt am Main 1983, ISBN 3-10-038119-X, S. 325. (Polak ist die tschechische Schreibweise.)
  2. Im Handbuch österreichischer Autorinnen und Autoren jüdischer Herkunft 18. bis 20. Jahrhundert und im Nachruf von W. Sternfeld im Aufbau (siehe Weblinks) wird als Sterbetag der 20. September angegeben.
  3. Regina Pollakova, geb. Schwenkova The Central Database of Shoah Victims' Names (hier mit Geburtsjahr 1855)
  4. Franz Kafka, Milena Jesenská (Adressat), Jürgen Born (Hrsg.), Michael Müller (Hrsg.): Briefe an Milena. Erweiterte und neu geordnete Ausgabe. Fischer, Frankfurt am Main 1983, ISBN 3-10-038119-X, S. 331.
  5. Norbert Abels: Franz Werfel. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 2002 (1990), S. 23f.
  6. Richard Faber u. Barbara Naumann: Literatur der Grenze. Theorie der Grenze. Königshausen u. Neumann, Würzburg 1995, S. 77.
  7. Hartmut Binder: Ernst Polak – Literat ohne Werk. Zu den Kaffeehauszirkeln in Prag und Wien. In: Fritz Martini, Walter Müller-Seidel, Bernhard Zeller (Hrsg.): Jahrbuch der Deutschen Schillergesellschaft. 23. Jg., Kröner, Stuttgart 1979, S. 382.
  8. Franz Kafka, Milena Jesenská (Adressat), Jürgen Born (Hrsg.), Michael Müller (Hrsg.): Briefe an Milena. Erweiterte und neu geordnete Ausgabe. Fischer, Frankfurt am Main 1983, ISBN 3-10-038119-X, S. 332. (Hier ist die Adresse offensichtlich irrtümlich dem angrenzenden Bezirk Josefstadt zugeordnet.)
  9. Hartmut Binder: Ernst Polak – Literat ohne Werk. Zu den Kaffeehauszirkeln in Prag und Wien. In: Fritz Martini, Walter Müller-Seidel, Bernhard Zeller (Hrsg.): Jahrbuch der Deutschen Schillergesellschaft. 23. Jg., Kröner, Stuttgart 1979, S. 367.
  10. Franz Kafka, Milena Jesenská (Adressat), Jürgen Born (Hrsg.), Michael Müller (Hrsg.): Briefe an Milena. Erweiterte und neu geordnete Ausgabe. Fischer, Frankfurt am Main 1983, ISBN 3-10-038119-X, S. IX (sic!).
  11. Klaus Wagenbach: Franz Kafka. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 1978, S. 123.
  12. Franz Kafka, Milena Jesenská (Adressat), Jürgen Born (Hrsg.), Michael Müller (Hrsg.): Briefe an Milena. Erweiterte und neu geordnete Ausgabe. Fischer, Frankfurt am Main 1983, ISBN 3-10-038119-X, S. 23.
  13. Hartmut Binder: Ernst Polak – Literat ohne Werk. Zu den Kaffeehauszirkeln in Prag und Wien. In: Fritz Martini, Walter Müller-Seidel, Bernhard Zeller (Hrsg.): Jahrbuch der Deutschen Schillergesellschaft. 23. Jg., Kröner, Stuttgart 1979, S. 389 u. 395.
  14. Radio Praha: Milena Jesenska. (englisch)
  15. George Butler (Memento vom 18. Oktober 2006 im Internet Archive)
  16. Permalink Österreichischer Bibliothekenverbund.
  17. Dissertation, S. 7, 146 u. 156f. Zitiert nach: Hartmut Binder: Ernst Polak – Literat ohne Werk. In: Fritz Martini, Walter Müller-Seidel, Bernhard Zeller (Hrsg.): Jahrbuch der Deutschen Schillergesellschaft. 23. Jg., Kröner, Stuttgart 1979, S. 389 u. 395.
  18. Dieter Sulzer: Der Nachlass von Ernst Polak im Deutschen Literaturarchiv. Bericht, Verzeichnis und Edition von Briefen Polaks, Werfel und Brochs. In: Fritz Martini, Walter Müller-Seidel, Bernhard Zeller (Hrsg.): Jahrbuch der Deutschen Schillergesellschaft. 23. Jg., Kröner, Stuttgart 1979, S. 516.
  19. Hilde Spiel: Die hellen und die finsteren Zeiten. Erinnerungen 1911–1946. 3. Aufl. List, München 1989, ISBN 3-471-78632-5, S. 80.
  20. Dieter Sulzer: Der Nachlass von Ernst Polak im Deutschen Literaturarchiv. Bericht, Verzeichnis und Edition von Briefen Polaks, Werfel und Brochs. In: Fritz Martini, Walter Müller-Seidel, Bernhard Zeller (Hrsg.): Jahrbuch der Deutschen Schillergesellschaft. 23. Jg., Kröner, Stuttgart 1979, S. 528.
  21. Hartmut Binder: Ernst Polak – Literat ohne Werk. In: Fritz Martini, Walter Müller-Seidel, Bernhard Zeller (Hrsg.): Jahrbuch der Deutschen Schillergesellschaft. 23. Jg., Kröner, Stuttgart 1979, S. 412–414.
  22. Hilde Spiel: Die hellen und die finsteren Zeiten. Erinnerungen 1911–1946. 3. Aufl. List, München 1989, ISBN 3-471-78632-5, S. 67.
  23. Hilde Spiel: Die hellen und die finsteren Zeiten. Erinnerungen 1911–1946. 3. Aufl. List, München 1989, ISBN 3-471-78632-5, S. 182.
  24. Hilde Spiel: Die hellen und die finsteren Zeiten. Erinnerungen 1911–1946. 3. Aufl. List, München 1989, ISBN 3-471-78632-5, S. 198.
  25. a b c Hartmut Binder: Ernst Polak – Literat ohne Werk. In: Fritz Martini, Walter Müller-Seidel, Bernhard Zeller (Hrsg.): Jahrbuch der Deutschen Schillergesellschaft. 23. Jg., Kröner, Stuttgart 1979, S. 414.
  26. Hartmut Binder: Ernst Polak – Literat ohne Werk. In: Fritz Martini, Walter Müller-Seidel, Bernhard Zeller (Hrsg.): Jahrbuch der Deutschen Schillergesellschaft. 23. Jg. Kröner, Stuttgart 1979, S. 366.
  27. Oliver Jahn: Verlobung eines Autors.
  28. Ernst Schwenk: Ein neuer italienischer Dichter. Italo Svevo. In: Die literarische Welt. Jg. 3/1927, Nr. 35, S. 1, zitiert nach Hartmut Binder: Ernst Polak – Literat ohne Werk. In: Fritz Martini, Walter Müller-Seidel, Bernhard Zeller (Hrsg.): Jahrbuch der Deutschen Schillergesellschaft. 23. Jg., Kröner, Stuttgart 1979, S. 393.
  29. Friedrich Torberg: Die Erben der Tante Jolesch. DTV, München 1981, S. 63.
  30. Hartmut Binder: Ernst Polak – Literat ohne Werk. In: Fritz Martini, Walter Müller-Seidel, Bernhard Zeller (Hrsg.): Jahrbuch der Deutschen Schillergesellschaft. 23. Jg. Kröner, Stuttgart 1979, S. 408f.
  31. Karl Corino: Robert Musil. Reinbek bei Hamburg 1989, S. 413.
  32. Alma Mahler-Werfel. Mein Leben. Fischer, Frankfurt am Main 2002 (EA 1960), S. 120.
  33. Hartmut Binder: Ernst Polak – Literat ohne Werk. In: Fritz Martini, Walter Müller-Seidel, Bernhard Zeller (Hrsg.): Jahrbuch der Deutschen Schillergesellschaft. 23. Jg. Kröner, Stuttgart 1979, S. 408.
  34. Dieter Sulzer: Der Nachlass von Ernst Polak im Deutschen Literaturarchiv. Bericht, Verzeichnis und Edition von Briefen Polaks, Werfel und Brochs. In: Fritz Martini, Walter Müller-Seidel, Bernhard Zeller (Hrsg.): Jahrbuch der Deutschen Schillergesellschaft. 23. Jg., Kröner, Stuttgart 1979, S. 514.
  35. Hartmut Binder: Ernst Polak – Literat ohne Werk. In: Fritz Martini, Walter Müller-Seidel, Bernhard Zeller (Hrsg.): Jahrbuch der Deutschen Schillergesellschaft. 23. Jg., Kröner, Stuttgart 1979, S. 367.
  36. Alma Mahler-Werfel: Mein Leben. Biographie. Fischer, Frankfurt am Main 2002 (EA 1963), S. 120.
  37. Norbert Abels: Franz Werfel. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 2002 (EA 1990), S. 54–56.
  38. Klaus Wagenbach: Franz Kafka. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 1978 (Erstausgabe 1964), S. 131.